Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen mit hohen Energiepreisen und Ukraine-Krieg hat der Lederwarenhandel im ersten Halbjahr 2022 eine starke Aufholjagd hingelegt. Laut ersten vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamts lag der Umsatz in den ersten sechs Monaten um 56,1 Prozent über dem Niveau von 2021. Diese hohe Zuwachsrate ist allerdings auch nachvollziehbar, da im letzten Jahr die Geschäfte – je nach Bundesland differierend – zum Teil bis weit in den Mai mit Lockdowns und Zugangsbeschränkungen konfrontiert waren und die Vorlagen daher schwach waren.
Aussagekräftiger für die tatsächliche Situation in den Unternehmen ist daher der Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Hier liegt der „stationäre Einzelhandel mit Lederwaren und Reisegepäck“ laut amtlichen Zahlen im ersten Halbjahr mit 14,8 Prozent im Plus. Der BTE geht allerdings davon aus, dass dieser hohe Zuwachs vor allem auf die starke Gewichtung der sehr erfolgreichen und umsatzstarken Luxusunternehmen der Branche zurückzuführen ist. Der klassische mittelständische Lederwarenhandel dürfte sich dagegen derzeit ungefähr auf dem Umsatz-Niveau von 2019 bewegen.
Profitieren konnte die Branche vor allem vom anziehenden Reisegeschäft, das vor allem die Umsätze mit Gepäck pushte. Hier gab es einen Nachholeffekt, nachdem die Umsätze in diesem Segment in den beiden letzten Jahren stark gefallen waren. Unverändert gut lief der Freizeit- und Schulbereich, auch Taschen wurden ordentlich nachgefragt. Dabei waren die Unterschiede je nach Standort weiterhin groß. Während sich einige Geschäfte in attraktiven kleineren Städten zum Teil über ein zweistelliges Plus zu 2019 freuen, liegen manche Läden in vormals frequenzstarken City-Lagen zum Teil nur bei der Hälfte des Vor-Corona-Niveaus.
Gewinner der Corona-Pandemie waren dagegen die Online-Shops. Die auf Bekleidung, Schuhe, Lederwaren und Textilien spezialisierten Internethändler fielen zwar im ersten Halbjahr gegenüber 2021 um 6,5 Prozent zurück, im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 konnten sie aber immer noch ein starkes Umsatzplus in Höhe von 38,6 Prozent erzielen. Der Marktanteil des Onlinehandels dürfte im letzten Jahr nach BTE-Schätzungen bei 35 bis 40 Prozent gelegen haben.
Auf die nächsten Monate inkl. des für die Branche so wichtigen Weihnachtsgeschäfts blickt der Lederwarenhandel mit einer Mischung aus Sorge und Hoffnung. Schließlich ist nicht absehbar, ob bzw. wann sich die überaus herausfordernden Rahmenbedingungen ändern. Viele Kunden werden sich beim Konsum einschränken (müssen), wobei die besser situierte Fachhandelsklientel in den letzten Wochen noch vergleichsweise stabil in ihrem Ausgabeverhalten war. Zudem besteht für die Branche die Hoffnung, dass die Kunden sich zwar bei großen Ausgaben zurückhalten, sich dafür aber „als Ersatz“ kleine Freuden gönnen, zu dem auch der Accessoire-Kauf zählen könnte.
Aber auch der Lederwarenhandel ist direkt von den Energiepreissteigerungen betroffen. Angesichts oft nur niedriger einstelliger Umsatzrenditen könnten die massiv steigenden Kosten viele Geschäfte in die roten Zahlen treiben – insbesondere, wenn das sich Ladenlokal nicht im Eigentum befindet, sondern (teuer) angemietet ist.
Eine weitere Herausforderung stellt jetzt und in Zukunft die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dar. Angesichts der demographischen Delle wird es immer schwieriger, ausscheidende Mitarbeiter zu ersetzen. So hat der Lederwarenhandel zwischen Ende 2019 und Ende 2021 insgesamt 21,4 Prozent seiner Mitarbeiter verloren und beschäftigt aktuell nur noch knapp 5.500 Personen (ohne Inhaber).
Hinweis: Laut letzter Umsatzsteuerstatistik gab es in Deutschland im Jahr 2020 insgesamt 1.039 stationäre Unternehmen mit vorwiegend Lederwaren und Reisegepäck (minus 13,5 Prozent gegenüber 2019), die einen Netto-Umsatz von knapp einer Milliarde Euro erzielten (minus 9,8 Prozent zu 2019).